
Nehmen Sie sich einen Augenblick Zeit und lernen den Dichter Heinrich Kraus, sein Leben und seine Werke kennen.
Heinrich Kraus war ein sehr produktiver Autor, der 1932 in St.Ingbert geboren wurde und seit 1964 in Miesau/Westpfalz lebte, wo er 2015 starb.
Er schrieb - in Mundart und Hochdeutsch - Romane, Gedichte, Hörspiele, Schulfunksendungen, Fernsehspiele, Theaterstücke und Kinderbücher.
Insbesondere sein lyrisches Werk ist sehr umfangreich, er schrieb über 3000 Gedichte und übertrug Gedichte aus aller Welt in die heimische Mundart.
Heinrich Kraus erhielt zahlreiche Preise, als höchste Würdigung den Pfalzpreis für Literatur 1984.
2005 wurde er für sein literarisches Schaffen mit dem Bundesverdienstkreuz am Bande ausgezeichnet.
Heinrich Kraus wurde am 09.06.1932 als erstes Kind eines Metallarbeiters und einer Näherin in St.Ingbert geboren. Kindheit und Jugend waren geprägt durch Geldsorgen, den Nationalsozialismus, die Kriegsjahre und die Nachkriegszeit, was in vielen Werken des Autors nachhallte und eine tiefe Traumatisierung offenbarte.
Nach dem erfolgreichen Abschluss der höheren Handelsschule verpflichtete er sich zur Weinlese in Frankreich, was seine Neugierde auf andere Länder und Kulturen weckte und ihm schließlich ermöglichte, aus dem katholisch-klerikalen Elternhaus auszubrechen. 1952-54 lebte er in Paris, Madrid, Rom und Pisa unter erbärmlichen Bedingungen und finanzierte mit Altpapiersammlungen und Gelegenheitsjobs intensive Sprachstudien der drei romanischen Sprachen, die er jeweils mit Diplom abschloss.
Familiengründung
Bevor Heinrich Kraus weitere geplante Sprachreisen nach Portugal und Südafrika unternehmen konnte, lernte er seine Ehefrau Inge kennen; es folgten Heirat und die Geburt des ersten Kindes 1956. Als Ernährer einer Familie musste er auf die geplanten Reisen verzichten, sondern absolvierte noch eine Lehre zum Industriekaufmann und heuerte als Fremdsprachenkorrespondent beim Homburger Pumpenunternehmen Klein, Schanzlin & Becker an.
Entfremdete Berufstätigkeit
Diese Tätigkeit war ihm wesensfremd, er litt unter der entfremdeten Arbeit, den Intrigen und dem autoritären Führungsstil der 50er und 60er Jahre. Ein Engagement als Betriebsrat beendete er vorzeitig aus Frustration über uninteressierte Kollegen. Das Dichten - nach Feierabend und am Wochenende - ermöglichte ihm kleine Fluchten aus einem unerträglichen Arbeitsalltag.
Die neue Heimat Miesau
Drei weitere Kinder wurden 1957, 1960 und 1961 geboren, und 1964 zog die nun sechsköpfige Familie ins westpfälzische Miesau. Im naturnahen Häuschen mit großem Garten, angrenzend Felder und Wald, fühlte sich Kraus wohl und geborgen. Zunächst in einer Gartenlaube, später dann im ersten Stockwerk richtete er sich ein Schreibstübchen ein. Die Dorfbevölkerung respektierte seinen Wunsch nach Ruhe, hier war er ob seines freundlichen und bescheidenen Auftretens wohl gelitten.
Krankheit und Schaffenskrise
Ab den frühen 70er Jahren litt Heinrich Kraus an einer chronischen Erkrankung, die seine Lebensfreude dämpfte und zu einem verstärkten Rückzug aus der Öffentlichkeit führte. Ein Selbstbildnis aus dieser Zeit offenbart die Verzweiflung des Dichters ob seiner Krankheitsdämonen.
Gleichzeitig kam es zu Konflikten mit dem Zsolnay-Verlag, bei dem er 1967 seinen ersten Roman "Staub" veröffentlicht hatte. Der Verlag wünschte, dass Kraus volkstümliche Romane a' la J.M.Simmel schreiben solle, um hohe Verkaufserlöse zu erzielen. Heinrich Kraus verstand sich aber als ernsthafter Schriftsteller und weigerte sich diesem Ansinnen nachzukommen. Als Folge konnte der Dichter zehn Jahre lang nichts mehr veröffentlichen, da alle Rechte bei Zsolnay lagen. In dieser Zeit malte er viele Ölbilder, oft mit apokalyptischen Inhalten.
Endlich nur noch Dichten
Nachdem alle Kinder flügge geworden waren, wagte der Dichter 1980 die Existenzgründung als freier Autor und widmete sich nun ganz dem Schreiben. Nebenbei malte und komponierte er auch. Unter dem Pseudonym S.Vark illustrierte er seine Gemälde sowie die meisten seiner Gedichtbände, und als "Rainer Hischuk" veröffentlichte er seine Kompositionen.
Sein zunehmender Erfolg rief leider auch Neider auf den Plan. Eine Clique um einen Landstuhler Rechtsanwalt forderte Kraus auf, seine Schriftstellerei einzustellen und bot ihm dafür sogar Geld an. Der Autor ließ sich davon nicht beirren, sondern dichtete fröhlich weiter.
Die erfolgreichste Zeit
Der Zeitraum zwischen 1980 und 2005 sollte die produktivste und vermutlich glücklichste Zeit des Poeten werden. Vier Kinderbücher um den Lausbub "Siggi Wulle" waren so erfolgreich, dass sie selbst in Japan und als Raubdruck in China verlegt wurden. Das Fernsehspiel "Die Buddik" wurde 1983 im ZDF gesendet und setzte seiner Heimatstadt St.Ingbert ein Denkmal. Heinrich Kraus erhielt jetzt auch zunehmend mehr öffentliche Anerkennung, was sich in 21 Auszeichnungen niederschlug, darunter der Pfalzpreis für Literatur 1984 und das Bundesverdienstkreuz am Bande 2005.
Späte Jahre
Das Alter war für Heinrich Kraus zunehmend beschwerlich. Neben gesundheitlichen Problemen erlebte er den zunehmenden Werteverfall in unserer Gesellschaft und beschrieb, wie er mehrfach von Jugendlichen drangsaliert und mißhandelt wurde. Miesau war für ihn keine sichere Zuflucht mehr.
Auf der anderen Seite pflegte er viele Freundschaften mit DichterkollegInnen und engagierte sich in der "Bosener Gruppe", einem Zusammenschluss von Mundart-Schriftstellern. Eine besondere Freundschaft entstand mit Günter Scholdt, dem langjährigen Leiter des Literaturarchivs Saar-Lor-Lux-Elsaß. Durch dessen Unterstützung entstanden zwei schwergewichtige Anthologien ausgewählter Werke:
Unter dem Titel "Poetische Haltestellen" erschien 2002 eine Lyriksammlung aus vier Jahrzehnten, und 2007 wurde "Das Geheimnis", eine Prosaauswahl der letzten 40 Jahre veröffentlicht.
Lebensende
Heinrich Kraus hatte sich immer mit dem Tod beschäftigt, und viele Gedichte entstanden um dieses Thema.
Im Herbst 2015 erkrankte der Dichter an Nierenversagen, lebensverlängernde Maßnahmen oder einen weiteren Aufenthalt in einer Klinik lehnte er ab. So kehrte er zum Sterben in sein geliebtes Häuschen und zu seiner Frau zurück, wo er am Abend des 22.10.2015 für immer seine Augen schloss.
Gemeinsam mit seiner Frau Inge liegt er in einem wildbewachsenen schlichten Grab auf dem Friedhof in Miesau. Das Grab, auf dem Bienen und Hummeln Nahrung finden, würde ihm gefallen...
"Heinrich Kraus war ein Literat mit Leib und Seele, ein Meister der Dichtkunst und einer der bedeutendsten in pfälzischer Mundart schreibender Autor. Er beherrschte alle Literaturformen, egal ob verschiedene Arten der Lyrik, Epik, Prosa oder Theaterstück. Diese Offenheit und Vielfalt spiegelt sich auch in der Wahl der Themen wieder: Das Leben und die Natur, Menschen, lokale Region, Geschichte oder Politik - jeder Aspekt war ihm wert "bedichtet" zu werden. Anfänglich schrieb er eher auf Hochdeutsch, doch zunehmend entdeckte er die Mundart. Durch das hohe Niveau seiner Arbeit beweist er, dass die Verwendung der Mundart keinen künstlerischen oder qualitativen Verlust bedeutet, sondern im Gegenteil eine Erweiterung der Möglichkeiten bringt.
Seine Texte berühren, sind oft besinnlich, immer ausdrucksstark und wirken nicht selten mit feinem Humor oder Sarkasmus."
(Text von Claudia Germann, Leiterin der Pfalzbibliothek Kaiserslautern im Begleitheft zur Ausstellung "Off's Dichte kennt ich nie verzichte" 2017)
"Mit das Auffallendste am Autor Heinrich Kraus ist eine bestechende Vielfalt an Formen und Themen, gezeigt in allen Großgattungen, dazu in moderneren Genres wie Hör- und Fernsehspiel...Versiert in der schweren Kunst des Leichten, schrieb er scheinnaiv-satirische Lausbubengeschichten a' la Ludwig Thoma, Kriminalromane oder reizende Kinderverse. Empfindsame Natur- oder amüsante Spottgedichte, Moritat, Ballade, Song, Vagantenlied, Psalm oder Gebet stehen neben zahlreichen einfühlsamen Dialektübertragungen von Weltliteratur...
Er zeigte Begeisterung für das Wort, für eine Hundertschaft von Gedichtformen, die er mit großer Intensität studiert und dann selber verwendet hat. Haiku, Elegie, Sonett, Epigramm oder Limerick - Kraus beherrschte sie alle virtuos. Klassische Vers- oder Reimformen wechseln mit freien Rhythmen bzw. Schüttel- oder Stabreim. Er imitierte Nonsens-Formen oder schuf originelle Verbindungen von Dialekt mit experimenteller bzw. konkreter Poesie." (Text von Dr. Günter Scholdt, langjähriger Leiter des Literaturarchivs Saar-Lor-Lux-Elsaß)
Heinrich Kraus hat 40 Gedichtbände veröffentlicht, einen Roman, zehn Erzählbände (drei in Hochdeutsch, sieben in Mundart), fünf Kinderbücher, acht aufgeführte Theaterstücke und 23 gesendete Hör- bzw. Fernsehspiele. Er hat eigene Mundartgedichte vertont, Lieder und sogar eine Oper komponiert. (Eine kleine Auswahl an Gedichten finden Sie weiter unten sowie im Impressum)
Unveröffentlicht blieben ein weiteres Fernsehspiel sowie mehrere Romane. Eine Autobiographie sowie ein Band mit dem Titel "Späte Gedanke", der über hundert Gedichte enthält und die der Dichter in seinen letzten Lebensjahren geschrieben hat, warten noch auf eine Veröffentlichung.
Der größte Teil des künstlerischen Nachlasses wurde der Pfalzbibliothek Kaiserslautern übereignet.
"Wovon soll ich schreiben?" fragte er, der Dichter. "Soll ich von Blumen erzählen und ihrem Duft, von Blütenblättern, schattigen Zweigen, raunenden Sträuchern und trostvollen Bäumen? Soll ich von Gräsern schreiben, die sich schlank in der Bläue des Tages wiegen?"
"Ja", sagte der andere, "schreibe von Blumen, Gräsern und Blättern! Aber vergiß nicht, den Ruß zu erwähnen, der auf sie fällt! Denke an die Seufzer, das Stöhnen, die verlorenen Schreie der Angst, die zwischen ihnen verklingen! (...)"
"Wovon soll ich noch schreiben?" fragte er. "Soll ich vom Menschen schreiben oder vielleicht gar von dem anderen, den sie "Gott" nennen?"
"Schreibe vom Menschen!" sagte der andere. "Schreibe vor allen Dingen vom Menschen!"
(aus "Kurzschlüsse" von Heinrich Kraus 1965)
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